Bonito Fallar

Scheiden tut weh. Viele Menschen gehen durch diese Erfahrung und sie ist nahezu immer mit Schmerz und Leid verbunden. Der Weg zur Scheidung ist oft lang und mit Zweifeln und Ängsten gepflastert. Für viele bricht eine Welt zusammen, besonders wenn sie vom Partner verlassen werden. Aber auch jene, die gehen und einen Schlussstrich unter diese Ehe ziehen wollen, sind mit dem Scheitern eines Lebensentwurfs konfrontiert und müssen sich neu orientieren. Das ist nicht immer einfach, denn immerhin geht es um die Auflösung einer Ehe, die man möglicherweise mit einem Idealbild im Kopf und unter Aufbietung vieler Mittel eingegangen ist. Scheitern steht da nicht auf dem Programm – und selbst die Scheidungszahlen, die regelmäßig als statistische Daten über die Medien verbreitet werden, lassen die Menschen nicht daran zweifeln, dass sie auf keinen Fall je davon betroffen sein werden. Da fast fünfzig Prozent aller Ehen irgendwann wieder geschieden werden, ist die Wahrscheinlichkeit allerdings hoch, dass sie sich sehr wohl mit dem Thema befassen müssen. In Zahlen ausgedrückt heißt das: 2011 wurden in Österreich 36.426 Ehen geschlossen und 17.295 Ehen geschieden. Nicht statistisch erfasst werden die Trennungen von Beziehungen, die ohne Trauschein eingegangen wurden. Man kann also von Tausenden ausgehen, die von Trennung und Scheidung betroffen sind, mithin also vom Scheitern einer Beziehung, einer Lebensgemeinschaft oder einer Ehe. Da ich als Scheidungsanwalt, der sich seit über 25 Jahren ausschließlich beruflich mit Familienrecht beschäftigt, bin ich jeden Tag mit diesem Scheitern konfrontiert. In der Regel bin ich nicht die erste Anlaufstelle: Im Spannungsfeld vielfältiger Emotionen holen sich die Menschen natürlich Trost, Rat und Zuspruch von der Familie, von Verwandten und den besten Freundinnen oder Freunden. Diese geben ihren Lieben hoffentlich den richtigen Rat und empfehlen den Gang zum Experten, statt wohlmeinend mit Tipps, Taktiken und Strategien auszuhelfen. Denn das „schönere“ Scheitern, wenn man so will, ist immer das „vernünftige“ Scheitern. Wenn die Menschen zu mir kommen, sehe ich Gefühlschaos und Unsicherheit, ich sehe Wut, Rachegelüste, Verzweiflung und Angst vor der Zukunft. Ich sehe aber auch den Willen zu Entscheidungen, Entschlusskraft und die Hoffnung auf einen Neuanfang. Und das Gespräch mit dem Juristen ist auch nicht unbedingt der unumkehrbare Schritt zur Scheidung, sondern in erster Linie die Beschäftigung mit den materiellen Eckpfeilern, mit Rechten und Ansprüchen, mit Pflichten und Risiken. Ein erfahrener Anwalt kennt diese wesentlich besser als die liebe Freundin, selbst wenn diese schon eine, zwei oder drei Scheidungen hinter sich hat. Wer zu mir kommt, geht durch einen Lebensabschnitt, der ihn oder sie von einer Phase des Lebens in eine andere bringt. Ich begleite Menschen an diesem Übergang aus ihrem alten Leben heraus und helfe ihnen, die ersten Schritte ins Neue mit Zuversicht zu gehen. Es liegt in der Natur meines Berufes, dass ich vor allem dafür da bin, die materielle Seite dieser Veränderung mit den Betroffenen abzuhandeln. Wer bekommt was, wie werden die Besuchszeiten für die Kinder geregelt, wie der Unterhalt? Ich zeige meinen Klienten die Möglichkeiten auf, die die Buchstaben des Gesetzes bieten, und ich unterstütze sie dabei, die für sie besten Lösungen zu finden. Dabei ist das Materielle nie nur materiell. Geld und Hausrat kann aufgeteilt werden, aber wie teilt man Erinnerungen an gemeinsame Zeiten? Wie geht man mit Enttäuschung, Verletzung, Kränkung um, wie mit dem Verlust von Vertrauen? Diese Gefühle werden oft auf die materiellen Dinge projiziert, die man entweder behalten oder auf jeden Fall loswerden möchte. Ich setze mich immer auch mit diesen nichtmateriellen Fragestellungen auseinander und sehe es als meine Aufgabe, meinen Klientinnen und Klienten aufmerksam zuzuhören und zu erkennen, wovon sie eigentlich reden, wenn sie – oberflächlich betrachtet – von „Sachen“ sprechen. Das Hochzeitsgeschenk von der Lieblingstante, die Fotoalben von gemeinsamen Reisen, das Erbstück von der Großmutter, aber auch das gemeinsame Haus, vielleicht in Jahren der Entbehrungen und des Verzichts gebaut, alles ist mit Gefühlen verbunden, die im Falle des Scheiterns der Ehe in der einen oder anderen Form „gemanaged“ werden müssen. Ich sehe es als eine meiner Aufgaben, hier als Vermittler im besten Sinne zu wirken, indem ich meinen Klientinnen und Klienten dabei helfe, rational über Nichtrationales miteinander zu verhandeln. Das Scheitern „schöner“ zu machen, indem jeder etwas bekommt und dafür etwas anderes loslässt. Gute Kompromisse zu finden und freiwillige Zugeständnisse zu machen, die weniger wehtun als sie einem selbst ein gutes Gefühl verschaffen. Das gelingt nicht immer, aber wenn es gelingt, ist das für alle – inklusive des Anwalts – eine Freude. Und es muss nicht viel kosten – eine Regelung des Besuchsrechts für den gemeinsamen Pudel ist in monetären Begriffen nicht wirklich auszudrücken, kann aber dabei helfen, dass die beiden Ex-Ehepartner auch weiterhin miteinander reden. Wie wichtig das ist, sehe ich immer wieder, wenn es darum geht, das Scheitern nicht als Endpunkt zu definieren, sondern die Scheidung als Übergang in einen neuen Lebensabschnitt zu betrachten. Ist eine Ehe gescheitert, heißt das ja nicht, dass man sich dem Prinzip Ehe für immer verschließt. Man darf sich weiterhin „trauen“ und gibt vielleicht eines Tages wieder einem Menschen das Ja-Wort. Ist das Scheitern also gar keins? Ist es vielleicht ein Lernprozess? Der dänische Philosoph Sören Kierkegaard sagte einmal, die Ehe sei die wichtigste Entdeckungsreise, die der Mensch unternehmen kann. Ich möchte diese Aussage erweitern: Ehen und Beziehungen sind die wichtigste Entdeckungsreise, die der Mensch unternehmen kann. Scheidungen und Trennungen sind daher oft auch Ent-Scheidungen, die an einem bestimmten Punkt des Lebens notwendig sind, um Lernprozessen Rechnung zu tragen. Das Scheitern einer Ehe ist so nicht zwingend ein negativer Endpunkt einer Lebensphase, sondern sehr oft ein „Gescheiter werden“. Schöner scheitern: Das gelingt dann, wenn man sich dessen bewusst ist, dass eine Scheidung keine Katastrophe ist, sondern – rein statistisch – mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auftritt. Bei allem Glück, den richtigen Partner fürs Leben gefunden zu haben, und bei aller Vorfreude auf eine romantische Hochzeit ist es daher nicht unromantisch, sich vor der Ehe zu überlegen, wie man im Falle des Falles mit einer Trennung umgeht. Ein Ehevertrag kann vieles schon im Vorfeld klären und beide Partner können sich im Falle des Scheiterns auf dieses Dokument berufen. Dass das eine Beziehung schwächt, ist mir noch nie untergekommen, es ist vielmehr so, dass mit einem Ehevertrag Vereinbarungen getroffen werden können, die spätere Konflikte bis hin zum „Rosenkrieg“ vermeiden helfen. Auch wenn man natürlich nicht komplett gefeit ist vor einer Auseinandersetzung – wer streiten will, findet immer einen Weg – , so sind zumindest die Grundlinien der materiellen Aufteilung vorgezeichnet. Dank einer ständig steigenden Lebenserwartung in einer Wohlstandsgesellschaft gehen wir heute durch mehrere Lebensphasen. Und wir entwickeln uns weiter. Frauen haben ihre eigenen Berufe, verdienen ihr eigenes Geld und sind nicht mehr abhängig vom Ehemann. Die Rollenbilder von Frau und Mann bis hin zu den Erwartungshaltungen der Gesellschaft haben sich in den letzten fünfzig Jahren enorm gewandelt. Es ist völlig normal geworden, in mehreren Lebensabschnitten zu denken – und sich zu trennen oder sich scheiden zu lassen ist nicht nur einfacher geworden, es ist auch gesellschaftlich vollkommen akzeptiert. Ebenso wie die Tatsache, dass viele Menschen nach der Scheidung oder Trennung eine neue Partnerschaft eingehen. Familien verkleinern und vergrößern sich, das persönliche Umfeld setzt sich immer wieder aus neuen Menschen zusammen, und völlig neue Lebensgemeinschaften entstehen. Man spricht schließlich auch von Patchwork-Familien, zusammengesetzt aus buntgemusterten Einzelteilen, die gemeinsam wieder ein neues Muster oder Bild ergeben. Dieses Patchwork kann nur entstehen, weil sich etwas anderes aufgelöst hat, doch wer will wirklich behaupten, dass daraus nicht etwas Schönes, Neues entstehen kann? Ich freue mich immer, wenn ich von Klienten und Klientinnen höre, dass sie ein neues Lebensglück gefunden haben und ich meinen Teil dazu beitragen konnte. Scheitern ist nie „schön“, aber das Scheitern einer Ehe oder Partnerschaft kann zumindest „schöner“ abgewickelt werden, wenn man sich dessen bewusst ist, dass jeder Mensch das Recht auf Lebensglück und Zufriedenheit im Rahmen seiner Möglichkeiten hat. Wir leben Gott sei Dank in einem Gesellschaftssystem, das uns viele Optionen eröffnet, dieses Lebensglück zu finden und gegebenenfalls die Weichen neu zu stellen. In diesem Sinne sind Scheitern und Neubeginn so etwas wie kongeniale Partner, denn das eine könnte ohne das andere nicht gelingen. Wenn das Scheitern dann nicht ganz so unschön ist, umso besser.

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